"Du kommst aus Leipzig? Warst du als Kind dann auch bei den Montagsdemonstrationen dabei?"
"Ne, wo denkst du hin? Da kam doch immer 'Ein Colt für alle Fälle' im Westfernsehen!"
"Ich glaube, du musstest dich nach der Wende echt nicht groß umstellen, oder?"
"Nö."

Sie hat einen großen silbernen Löwenkopf als Gürtelschnalle, direkt über ihrem Schoß.
"Das ist mein Zerberus", sagt sie. "Er bewacht den Eingang zur Unterwelt."

"Ist dir nicht kalt?" fragte ich ihn, als er nachts noch im T-Shirt herumsaß.
"Stahl friert nicht", sagte er knapp.

Er hatte sich eine Tätowierung auf den Bauch machen lassen. Einen Pfeil, der auf sein Genital zeigte und auf dem stand "Kein Trinkwasser".

"Ohne mich!" sagte sein Verstand, rannte die Treppe hoch und schloss sich auf dem Dachboden ein, als er auf die makellose Frau am Rand der Tanzfläche zuging, um sie anzusprechen.

"Oh, du schreibst "Phantasie" ja auch noch mit PH, wie lustig."
"Klar, man muss ja nicht gleich jeden Trend mitmachen. Ich bin fest davon überzeugt, dass sich die Rechtschreibreform von 1905 nicht langfristig durchsetzen wird."

Das ganze Jahr über lief sie herum als Goth, mit schwarzer wallender Kleidung, weißgeschminktem Gesicht und schwarzem Lippenstift. Dann war Fasching, und sie verkleidete sich auf besondere Art: Sie zog eine Bluejeans an, trug dazu ein weißes Top von H&M, legte roten Lippenstift auf und band sich einen Pferdeschwanz.
Niemand erkannte sie.

"Hast du mal wieder was vom Christoph gehört?" frage ich eine alte Bekannte aus meinem Jahrgang. Christoph war der Jahrgangs-Freak, der immer irgendwie unheimlich war.
"Nach allem, was ich gehört habe, hat er sein Informatik-Studium abgebrochen und wollte Islamwissenschaften anfangen . Er hatte sich schon so einen Fuselbart wachsen lassen."
Vielleicht würden wir ihn bald auf CNN sehen. Wie er von amerikanischen GIs aus irgendeiner Erdhöhle im pakistanischen Grenzgebiet herausgezerrt würde, die ihn dann gleich nach Guantanamo schicken.Und wir stellten gemeinsam fest, dass das niemanden von uns wirklich überraschen würde.

Das ehemalige Puff im Bahnhofsviertel hatte den Betreiber gewechselt, der neue Besitzer machte daraus eine Szenebar für Künstler und Studenten. Am Anfang gab es noch gewisse Übergangsprobleme: die alte Kundschaft kam weiterhin und hatte den Besitzerwechsel nicht wirklich realisiert. Nachdem mehrmals junge Kunststudentinnen von älteren Herren angegrabscht wurden, sah sich der Besitzer genötigt, am Eingang ein Schild anzubringen: "Hier nix ficken!"

Vielleicht hat das ja jeder irgendwann: eine große Liebe, aus der dann nichts wurde, und Ex-Schwiegereltern-in-spe, zu denen man heute noch Kontakt hat.

Er sagte, er träumte in letzter Zeit ständig davon verfolgt zu werden. Die ganze Nacht sei er in seinen Träumen am rennen, immer kurz davor, von seinen unsichtbaren Verfolgern geschnappt zu werden, die sicher schreckliche Dinge mit ihm anstellen würden. Und wenn er dann am Morgen endlich aufwache, sagt er, sei er so außer Atem, dass er den Rest des Tages keine langen Strecken mehr zurücklege.

Es gab kaum Bilder von ihm als Kind - er hatte zwei ältere Geschwister, und beim dritten Kind hatten die Eltern keine Lust mehr, jeden Schritt und Tritt zu dokumentieren. Schon beim zweiten Kind hatten sie festgestellt, dass da ja doch immer nur dieselben Bilder bei rauskommen.